Freitag, 08. Mai 2020
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Liebe Piloten!

Ich bin Nicht-Flieger und habe eine ungewöhnliche Frage.
In letzter Zeit zeige ich Interesse an der Luftfahrt. Schon grotesk, dass so etwas schreckliches wie das Wettrüsten der Weltkriege der Auslöser für so was tolles sein kann.

Ich versuche mich gerade an einer Abenteuer-Story, habe aber Probleme bei der Recherche. Ich will ja keinen Unsinn schreiben und dachte, ich frag mal die Experten.

Es geht um ein Schul-Wasser-Flugzeug. Die alte Curtiss Jenny JN4. Sie soll als Geister-Flugzeug ein paar Schiffbrüchigen aus der Not helfen. ;)
Meine Frage ist:
Haben Schulflugzeuge (auch die alten) einen Mechanismus, mit dem man zwischen den Doppelsteuern hin und herschalten kann?
Und welchen Grund hat es, dass der Platz des Lehrers hinten ist und der Schüler vorne sitzt? Blöderweise finde ich im Internet keine Informationen. Hat jemand einen Tip für mich? Das würde mir bei der Handlung des Showdowns sehr helfen.
vor etwa 3 Jahren
·
#3157
Akzeptierte Antwort
Mal als Eingangsstatement, die p.t. Kollegen mögen ergänzen/korrigieren: . .

In der legendären Jenny waren die aerodynamischen Steuerelemente, wie auch in den meisten gegenwärtigen Mustern, fix verbunden. Es ist sogar schon zu (teilweise suizidalen) Unfällen gekommen, weil einer zB gezogen, der andere gedrückt hat. Aber das soll nicht den Eindruck erwecken, diese Koppelung sei irgendwie gefährlich, Unfälle sind nur in extremen Ausnahmefällen passiert. Ansonsten ist das "Doppelsteuer" nicht nur für die Schulung ideal, weil der Schüler spüren kann, was der Lehrer macht, sondern auch bequem, wenn man einander ablöst. Das fast rituelle readback 'your control' - 'my control' begeistert schon jeden Schupperflieger, und erzeugt nicht selten 'goosebumps' wenn er oder sie zum ersten Mal das Ruder (oder den Stick) übertragen bekommt.

Es gibt Flugzeugmuster (zB die superbe Beech Bonanza in einigen Ausführungen), bei der das Steuerhorn tatsächlich von einer Seite zur anderen geschwenkt werden muss, um es von einem zum anderen Piloten übergeben zu können. Aber diese Ausführungen sind eher selten, Standard ist das Doppelsteuer.

Warum der Flight Instructor hinten sitzt, hat m.W. andere Gründe, denn nach vorne sieht man in praktisch allen Flugzeugen ziemlich miserabel:
Erstens sieht der FI von hinten aus ständig, was der Schüler vorne so treibt, und zweitens ist es Usus, dass man schon bei einem Alleinflug in einem Tandem-Zweisitzer, wie der Jenny, vom hinteren Sitz aus fliegt. Es gibt aber auch andere Prinzipien in modernerern Militär-Flugzeugen, wo zB der Waffenoffizier hinten sitzt. In erster Linie sitzt der 'Pilot in Command' in den alten Tandem-Sitzern wegen der besseren Schwerpunktlage, aber auch, weil die bessere Ausstattung mit Instrumenten praktisch immer (auch heute noch) im hinteren Cockpit ist, und man bei Ausfall eines wichtigen Instruments immer noch die vorne sehen kann.

LG Axel der Aerotekt

PS: Eine Tradition nach bestandener Flugprüfung ist es seit jeher, dass man dem Schüler brutal den Hemdkragen abschneidet (wurde später manchmal durch das Abschneiden der Kravatte ersetzt). Der Ursprung dieses Rituals kommt ebenfalls aus dem Setting: Schüler vorne, Lehrer hinten, weil es in den ohrenbetäubend lauten Cockpits - lange, bevor es Headsets und Intercoms gab - üblich war, dass der Lehrer den Schüler am Kragen gezupft hat, wenn er ihn auf was aufmerksam machen wollte. Und da ein frischgebackener Pilot das nicht mehr nötig hat, braucht er halt genausowenig mehr einen Hemdkragen ...
vor etwa 3 Jahren
·
#3166
Kann man eigendlich jedes starre Fahrwerk (bei den älteren Modellen) durch Pontons ersetzen? Und wie viel G-Kräfte könnten maximal mit ner Jenny erreicht werden (im Sturzflug oder enge Kurven), hält sie sowas überhaupt aus? Laut Google soll sie ja recht träge zu steuern sein...
Inwieweit es von den Flugzeugen aus dieser Zeit generell Wasserflugzeugversionen gab, weiß ich nicht; für die besagte JN-4 gab es definitiv eine namens N-9, aber das hast Du sicher schon selber recherchiert.

Ad g-Kräfte: nachdem mit diesem Flugzeugtyp auch Loopings geflogen wurden, kann man davon ausgehen, dass sie jedenfalls ca. 4-5g ausgehalten hat. Beim Sturzflug selbst sind die g-Kräfte kein Thema (erst wenn man ihn wieder ausleitet :->;), da geht's nur um die maximale Geschwindigkeit, die das Flugzeug aushält. Kenne die diesbezüglichen Limits bei der Jenny klarerweise nicht, aber in einem groben Analogieschluss zu heutigen Kleingeflügelmustern kann man vielleicht von ca. 200 km/h höchstzulässiger Geschwindigkeit ausgehen.
vor etwa 3 Jahren
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#3165
Vielen Dank, das hilft mir sehr! Ich glaub wenn dieser Corona-Wahnsinn vorbei ist, werde ich unbedingt mal einen Flug bei euch buchen. ;) Ich hab noch ne Frage! Kann man eigendlich jedes starre Fahrwerk (bei den älteren Modellen) durch Pontons ersetzen? Und wie viel G-Kräfte könnten maximal mit ner Jenny erreicht werden (im Sturzflug oder enge Kurven), hält sie sowas überhaupt aus? Laut Google soll sie ja recht träge zu steuern sein...

Renate, man darf schon seit Anfang Mai de facto wieder mit Passagieren fliegen, de jure genau genommen sowieso schon lange, die einzige Einschränkung ist derzeit nur mehr das Tragen eines Mundschutzes, falls man näher, als einen Meter voneinader sitzen sollte und nicht zusammen wohnt. Und auch das könnte vielleicht bald obsolet sein. Also ist der Wahnsinn für uns eigentlich schon vorbei. Du kannst jederzeit hier bei uns einen Flug anfragen.

Was die Frage mit den Pontons angeht: Man kann Schwimmkörper auf jedes Flugzeug montieren, das wurde in der Vergangenheit oft gemacht (man könnte ja auch zB einen Konzertflügel montieren), die Frage ist eher (heutzutage), ob man dafür eine Zertifizierung bekommt, denn man darf jedenfalls bei den europäisch zugelassenen Flugzeugen ('EASA' - Flugzeuge) nicht so einfach herumschrauben, bzw. was ändern, genau genommen bleibt sogar das Austauschen eines durchgeschmorten Kontrollamperls ausschließlich zertifizierten Flugzeugtechnikern vorbehalten, und einen EASA-Zertifizierungsprozess für Schwimmkörper finanziell und nervlich durchzustehen, wünsch ich nicht einmal meinen Feinden. Abgesehen davon werden sich bestimmte Muster auch rein technisch nicht dafür eignen (Leistung, Bauart usw.)

LG Axel der Aerotekt

PS: Was die maximalen G-Kräfte (die sog. 'Lastvielfachen') einer Jenny anlangt, muss ich passen. Es könnte sein, dass es die für dermassen alte Designs auch gar nicht gibt, denn eine Jenny ist ein historisches Muster, und rangiert in einer ganz eigenen Klasse - rein rechtlich gesehen.
vor etwa 3 Jahren
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#3164
Vielen Dank, das hilft mir sehr!

Ich glaub wenn dieser Corona-Wahnsinn vorbei ist, werde ich unbedingt mal einen Flug bei euch buchen. ;)

Ich hab noch ne Frage!
Kann man eigendlich jedes starre Fahrwerk (bei den älteren Modellen) durch Pontons ersetzen?
Und wie viel G-Kräfte könnten maximal mit ner Jenny erreicht werden (im Sturzflug oder enge Kurven), hält sie sowas überhaupt aus? Laut Google soll sie ja recht träge zu steuern sein...
vor etwa 3 Jahren
·
#3162
Und welchen Grund hat es, dass der Platz des Lehrers hinten ist und der Schüler vorne sitzt?


Hier noch eine allgemeine Anmerkung - in den meisten Flugzeugen sitzt man ja heutzutage nebeneinander, nicht hintereinander. Hier sitzt der "Pilot in Command" (PIC) üblicherweise auf der linken Seite, der Copilot auf der rechten Seite.

Damit der Flugschüler sich daran gewöhnt, sitzt dieser somit gleich auf der linken Seite, und in diesem Fall auf der rechten Seite der Fluglehrer, der gleichzeitig auch PIC ist.
vor etwa 3 Jahren
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#3161
Hatte es nicht mit dem Schwerpunkt (CG) zu tun, dass bei Tandemsitzern der Einzelpilot je nach Muster immer entweder immer vorn oder hinten sitzt und daher dort die meisten Instrumente sind? VG vom Blinder, der von der Farbe spricht...


Also bei der legendären Piper J3C, auf der praktisch alle Piloten fliegen lernten, bevor die C-150 auf den Markt kam, musste ein alleinfliegender Pilot wegen des Schwerpunkts hinten sitzen. Die J3C war nicht elektrifiziert. Der Motor wurde durch Anwerfen gestartet.

Die nachfolgende PA-18 bekam dann eine Elektrik verpasst und man verbaute die Batterie hinten im Rumpf. Durch diesen "Schwerpunkt-Trick" konnte dann ein alleinfliegender Pilot vorne sitzen.

LG
Gerhard
vor etwa 3 Jahren
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#3160
Nix blind, ich denke, das ist ein Bingo (um ein Filmzitat zu bemühen): in den Tandemsitzern ist in der Tat vong Schwerpunktlage her nur einer der beiden Plätze für den Solobetrieb vorgesehen (OK, bei den Nebeneinandersitzern auch, aber da hat's nichts mit dem CG zu tun), und das ist wohl der "Schülerplatz".

Punkto WK1-Luftkriegslektüre übrigens schwere Empfehlung meinerseits: "Open Cockpit", von einem, der tatsächlich mit diesen Dingern im Kriegseinsatz geflogen ist. Relativ nüchtern und mit gut dosierter Selbstironie geschrieben und m.E. gerade deshalb umso interessanter und spannender zu lesen.
vor etwa 3 Jahren
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#3159
Hatte es nicht mit dem Schwerpunkt (CG) zu tun, dass bei Tandemsitzern der Einzelpilot je nach Muster immer entweder immer vorn oder hinten sitzt und daher dort die meisten Instrumente sind?

VG vom Blinden, der von der Farbe spricht...
vor etwa 3 Jahren
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#3158
PPS: Eine Pflichtlektüre für Dich wäre zB 'Hornet Flight' von Ken Follett (Pan Books), da geht es zwar nicht um eine Jenny, sondern um eine - ziemlich ähnliche - 'Hornet Moth',(die geschlossene Schwester der legendären 'Tiger Moth') aber die Flucht der beiden Protagonisten von Dänemark nach England vor den Nazis in dieser heimlich entstaubten und reparierten Kiste ist nur der Höhepunkt der an Spannung schwer zu überbietenden Geschichte.

Wenn Du an sowas arbeitest, gibt es wohl keine bessere 'Einschulung', als mit einem von uns einen Schnupperflug zu machen :D

Und dann wäre ich gerne unter den ersten, die sich das Buch schicken lassen, wenn es fertig ist!

LG Axel der Aerotekt
vor etwa 3 Jahren
·
#3157
Akzeptierte Antwort
Mal als Eingangsstatement, die p.t. Kollegen mögen ergänzen/korrigieren: . .

In der legendären Jenny waren die aerodynamischen Steuerelemente, wie auch in den meisten gegenwärtigen Mustern, fix verbunden. Es ist sogar schon zu (teilweise suizidalen) Unfällen gekommen, weil einer zB gezogen, der andere gedrückt hat. Aber das soll nicht den Eindruck erwecken, diese Koppelung sei irgendwie gefährlich, Unfälle sind nur in extremen Ausnahmefällen passiert. Ansonsten ist das "Doppelsteuer" nicht nur für die Schulung ideal, weil der Schüler spüren kann, was der Lehrer macht, sondern auch bequem, wenn man einander ablöst. Das fast rituelle readback 'your control' - 'my control' begeistert schon jeden Schupperflieger, und erzeugt nicht selten 'goosebumps' wenn er oder sie zum ersten Mal das Ruder (oder den Stick) übertragen bekommt.

Es gibt Flugzeugmuster (zB die superbe Beech Bonanza in einigen Ausführungen), bei der das Steuerhorn tatsächlich von einer Seite zur anderen geschwenkt werden muss, um es von einem zum anderen Piloten übergeben zu können. Aber diese Ausführungen sind eher selten, Standard ist das Doppelsteuer.

Warum der Flight Instructor hinten sitzt, hat m.W. andere Gründe, denn nach vorne sieht man in praktisch allen Flugzeugen ziemlich miserabel:
Erstens sieht der FI von hinten aus ständig, was der Schüler vorne so treibt, und zweitens ist es Usus, dass man schon bei einem Alleinflug in einem Tandem-Zweisitzer, wie der Jenny, vom hinteren Sitz aus fliegt. Es gibt aber auch andere Prinzipien in modernerern Militär-Flugzeugen, wo zB der Waffenoffizier hinten sitzt. In erster Linie sitzt der 'Pilot in Command' in den alten Tandem-Sitzern wegen der besseren Schwerpunktlage, aber auch, weil die bessere Ausstattung mit Instrumenten praktisch immer (auch heute noch) im hinteren Cockpit ist, und man bei Ausfall eines wichtigen Instruments immer noch die vorne sehen kann.

LG Axel der Aerotekt

PS: Eine Tradition nach bestandener Flugprüfung ist es seit jeher, dass man dem Schüler brutal den Hemdkragen abschneidet (wurde später manchmal durch das Abschneiden der Kravatte ersetzt). Der Ursprung dieses Rituals kommt ebenfalls aus dem Setting: Schüler vorne, Lehrer hinten, weil es in den ohrenbetäubend lauten Cockpits - lange, bevor es Headsets und Intercoms gab - üblich war, dass der Lehrer den Schüler am Kragen gezupft hat, wenn er ihn auf was aufmerksam machen wollte. Und da ein frischgebackener Pilot das nicht mehr nötig hat, braucht er halt genausowenig mehr einen Hemdkragen ...
vor etwa 3 Jahren
·
#3156
Mal als Eingangsstatement, die p.t. Kollegen mögen ergänzen/korrigieren:
. Alle Steuerelemente (Knüppel, Pedale, bei Tandemsitzern wie der besagten Curtiss auch Gashebel) sind permanent mechanisch verbunden. "Hin- und herschalten" gibt es somit nur verbal, wenn der Instruktor sagt "my controls" ;-)
. Möglicherweise weil man vorne mehr sieht; wobei die Sicht am Boden (also beim Starten, Landen und Rollen) in diesen alten Geräten (und auch in manchen heutigen Spornradflugzeugen) generell etwas eingeschränkt ist. Es dürfte auch von Flugzeug zu Flugzeug unterschiedlich sein, wer vorne und wer hinten sitzt.
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